
Es ist Zeit für dein kreatives Erwachen. Entdecke, wie lebendig es dich macht, etwas Kreatives zu schreiben und deine Texte mit anderen zu teilen. Als deine Mentorin begleite ich dich gerne auf deiner Schreibreise.
Ich blicke auf das Nachbarhaus. Es ist eidottergelb. Nein, das ist gar nicht wahr, es ist vanillegelb. Es ist so gelb wie der helle Teig für Marmorkuchen, wenn er noch flüssig ist. Ich schaue durch das Wohnzimmerfenster auf das kuchengelbe Haus. Weiße und grüne Zweige wachsen vor den Fenstern. Fenster mit weißen Fensterläden. Das ganze Haus wirkt so sauber wie ich vielleicht noch nie in meinem Leben gewesen bin. An mir kleben immer Katzenhaare. Und Reismilchflecken. Und diese Fussel an den Pulloverärmeln.
Am Nachbarhaus kann ich mich abarbeiten. Am Kuchenhaus kleben meine ganzen Vorurteile, backen daran fest. Sehnsüchte. Neid. In dem furchtbar sauberen Haus mit den Frühlingsblühern im Garten wohnt eine Familie mit zwei Kindern. Die Mutter stellt Töpfe mit Hyazinthenzwiebeln in einer Reihe ins Küchenfenster.
Alles wirkt so sauber und rein und reich, dass es einem schlecht werden könnte. Zumindest, wenn man eigentlich selbst gern sauber und reich wäre. Missgunst speist sich immer aus Sehnsucht. Aber eigentlich missgönne ich den Nachbarn das Kuchenhaus nicht. Sie können ihres ruhig haben. Aber ich hätte auch gern eines. Mit einer Fassade, von der du die Farbe lecken könntest, wenn du wolltest.
Das Nachbarhaus steht immer da. Morgens, wenn ich schlecht aus dem Bett komme. Mittags, wenn mich die Schreiblaune packt und ich ein paar Sätze für ein Essay formuliere, die ich für annehmbar halte. Abends, wenn die Sonne zwischen den Häusern in das dunkle Tal sackt und mich mit ihrem letzten Leuchten fragt: Was hast du heute geschafft?
Denn ich bin auch heute nicht reich und gesund geworden. Ich feiere Ostern nicht an einem Tisch mit weißer Tischdecke und Hasen aus Holz und papiernen Ostereiern von Ferm Living. Mit duftendem Hefezopf, auf den kleine Hände Marmelade aus selbst geernteten Himbeeren streichen.
Die Welt teilt sich in Menschen, die ohne Bedenken einen Bund Tulpen für 10 Euro kaufen, weil Frühling ist und die, die das nicht tun. Niemand sagt, dass Geld glücklich macht, aber in einer Welt, in der sich fast alles um Geld dreht, ist es mit einfacher als ohne. Die Welt ist wie ein Spielplatz – hast du kein Geld, spielst du nicht mit. Nur manchmal, auf der kleinen Schaukel am Rand. Die Nachbarn im gelben Haus haben wahrscheinlich eine eigene Schaukel im Garten. Ich weiß es nicht, ich kann nicht in den Garten schauen, aber ich nehme an, dass sie da ist.
Sein Leben gestalten, nennt das der Kapitalismus. Sich Dinge kaufen. Sich etwas leisten können. Urlaub, ein Auto. Ein neues Kleid. Erschaffe dir dein Leben, das heißt eigentlich: Kauf dir etwas. Mach etwas aus dir, damit du etwas darstellen kannst.
Unser Leben ist ein Produkt, unser Leben ist käuflich, unser Gefühl von Selbstwirksamkeit hat ein Preisschild. Ist das zu kurz gedacht? Gibt es nicht auch Dinge wie Liebe, Gesundheit, Freiheit? Dinge, die du nicht kaufen kannst?
Sicher gibt es die. Aber alles, was sich fotografieren und in die Kamera halten lässt, wurde zur Ware. Kinder. Hochzeiten. Gesunde, trainierte Körper. Alles ist messbar. Alles ist optimierbar. Alles ist Produkt. #familygoals #couplegoals #lifegoals.
Ich starre aus dem Fenster auf die gegenüberliegende Straßenseite. Wäre ich glücklicher im Kuchenhaus? Wie würde ich mich fühlen, wenn ich auf der anderen Seite wohnte? Hätte ich das Gefühl, mitzuspielen?
Denn wann immer ich zu ein bisschen Geld komme, kriecht auch die Angst mit aufs Bankkonto. Angst, wie lange es reichen wird. Angst für was es alles nicht reichen wird. Ob die Nachbarn diese Angst kennen? Ob diese Angst mit mehr Geld proportional größer oder kleiner wird? Gibt es eine Summe, ab der der diese Angst nicht mehr existiert? Und was passiert dann mit einem Menschen? Hat er das Gefühl, dass es nun nichts mehr zu befürchten gibt – oder nichts mehr zu erreichen?
Das Gelb lächelt mich an, manchmal verhöhnt es mich mit seinem sorglosen Ton. Nie blicke ich in die Zimmer, die Fenster sind dunkel und wenn Licht scheint, scheint es durch Gardinen.
In dem gelben Haus gegenüber wohnen Menschen, die ich nicht kenne und deshalb beneide. Sie haben reine Haut. Und Golden Retriever. Sie stehen gut gelaunt auf und braten Pancakes in beschichteten Pfannen.
Alles und nichts könnte passieren im Kuchenhaus. Es könnte eine reine Kulisse sein. Hollywood oder Babelsberg. Hausfassaden, dahinter nur Holz und Staub. Und wahrscheinlich ist es genau so. Was im gelben Haus passiert, passiert im Grunde in mir. Tausend mögliche und unmögliche Leben lebe ich hinter den Sprossenfenstern, sehe und vermute und belauere ich.
Ich würde so gerne, eines Tages, wie ein Windstoß durch die Eingangstür streifen. Wie eine Katze, die sich verlaufen hat. Der verwunderte Augen nachschauen, aber die keiner aufhält, wenn sie ganz selbstverständlich in fremden Fluren spazieren geht.
Du möchtest auch wieder öfter schreiben? Dann triff uns in der SCHREIBSTUNDE – hier kommen wir jeden Dienstag auf Zoom zusammen und schreiben gemeinsam zu einer kreativen Schreibaufgabe.
Das ist bezaubernd schön! Nicht nur die Formulierungen und deine Sprache (ich liebe das Wort „Kuchenhaus“) sondern auch die Gedanken, die du dir machst und hier teilst. Ich fühle mich berührt und gewärmt durch deine Worte – die haben mich verändert. Ich bin nachdenklicher und reifer als vor 5 Minuten. Ich bin froher. Und ich lächle. Das hat dein Text gemacht, das hast du genacht. Danke für das Geschenk !
Liebe Kea, ich hab’s mir, wie versprochen, mit einer Tasse Dinkelkaffee und sogar einem Stück Zitronenkuchen vor dem Bildschirm bequem gemacht und prompt hat mich dein Beitrag zu einem eigenen Text inspiriert. Ich liebe deine Entscheidung, auch deine Prosa auf dem Blog zu veröffentlichen und habe diese ruhigen Minuten nur für mich und ohne Ablenkung drüber und drunter sehr genossen. Danke! <3
Ein sehr, sehr schöner Text! Zum Genießen, aber auch zum Nachdenken!
Es ist Zeit für dein kreatives Erwachen. Entdecke, wie lebendig es dich macht, etwas Kreatives zu schreiben und deine Texte mit anderen zu teilen. Als deine Mentorin begleite ich dich gerne auf deiner Schreibreise.
5 Comments
So schön. Danke!
Herzliche Grüße
Susanne
Von Herzen gern! :) Danke für deinen Kommentar!