
Es ist Zeit für dein kreatives Erwachen. Entdecke, wie lebendig es dich macht, etwas Kreatives zu schreiben und deine Texte mit anderen zu teilen. Als deine Mentorin begleite ich dich gerne auf deiner Schreibreise.
Samstagmittag, 14 Uhr. Milde 25 Grad. Schleierwolken, vor den Eiscafés vermutlich lange Schlangen. Ich sitze am Schreibtisch. Die Rollläden halb geschlossen, die Luft steht im Raum. Aber es gibt keinen Ort, an dem ich lieber wäre. Was mich so an meinen Laptop fesselt, ist ein Seminar. Besser, die Gästin in unserem Seminar, Schriftstellerin Anke Stelling.
Anke Stelling hat am Literaturinstitut in Leipzig studiert. Als ausgebildete Autorin wurde sie ins Berufsleben entlassen – und hat Ernst gemacht. 10 Bücher umfasst die Liste ihrer Veröffentlichungen, 2019 wurde sie für ihren Roman „Schäfchen im Trockenen“ mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Den Studierenden im Literatur-Seminar erzählt sie aber ganz unverblümt auch von den Jahren ihres Schriftstellerinnendaseins, in denen an so etwas wie Urlaub aus finanziellen Gründen nicht einmal zu denken war.
Mit dem Titel „Literaturbetriebswirtschaft“ ist das Blockseminar überschrieben, das uns an zwei Sommerwochenenden in einem Zoom-Meeting-Raum versammelt. Wir, das sind Studierende aus dem Studiengang „Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus“ der Uni Hildesheim.
Wie geht das mit der Künstlersozialkasse? Was muss ich bei Verhandlungen mit einem Verlag beachten, wie finde ich eine Literaturagent*in? Und wie steht es um die Altersvorsorge? Auf solche ganz praktischen Fragen rund um den Beruf der Schriftstellerei will das Seminar Antworten finden.
Nun geht ziemlich sicher niemand an die Schreibschule, um reich zu werden. Berühmt, das vielleicht schon. Aber selbst gute Buchbesprechungen im Feuilleton sind kein Garant für monetären Erfolg und finanzielle Sicherheit. Einen Kredit für den Kauf einer Immobilie dürften die wenigsten freiberuflichen Schriftsteller*innen von ihrer Bank bewilligt bekommen. Schreiben als Beruf, das ist kein Geheimnis, geht allzu oft mit Existenzängsten einher, mit einer ungewissen Zukunft und einem Leben, in dem das Prinzip „von der Hand in dem Mund“ zur Dauereinrichtung werden kann.
Somit hätte das Seminar über den lebenspraktischen Teil des Schreibens und die Frage, wovon man seine Miete als Schriftsteller*in bestreitet, gute Chancen, auch die letzten Idealisten dazu zu bewegen, sich einen Termin bei der Studienberatung geben zu lassen. Aber so kommt es nicht. Und das liegt zu großen Teilen an Anke Stelling. An all dem, was sie uns in gut zwei Stunden Gespräch über ihr Leben erzählt, über einen misogynen, patriarchal geprägten Literaturbetrieb und über die unabdingbare Notwendigkeit, sich gerade innerhalb dieses Systems Anstand und Rückgrat zu bewahren.
„Mir war das von Anfang an klar, dass es Schriftsteller*innen geben muss und auch welche, die nicht gut verkaufen und deren Lesungen nicht gut besucht werden – weil die Kunst das braucht.“, steigt Anke Stelling ins Gespräch ein. Sie habe aber auch gewusst, dass sie mit wenig auskomme. Und dass die Kunst ihr etwas gibt, dass kein anderer Beruf ersetzen könnte. Denn in der Kunst liegt ein Wert, der für manchen Kraftakt entschädigt. Viele Köpfe im Zoom-Fenster nicken, als sie sagt: „Ich würde es auch ohne Geld machen. Ich schreibe sowieso.“
Romantisiert wird die Armut nicht. Gerade in einer Gesellschaft wie der unsrigen, in der Besitz und Status eine große Rolle spielen und uns ihr Abglanz permanent auch noch aus den sozialen Netzwerken gespiegelt wird, muss man viel innere Stärke haben, um ein entbehrungsreicheres Leben zu führen. Anke Stelling wollte und konnte das: „Das Privileg, Künstlerin zu sein, hat mich Sachen aushalten lassen, die sehr anstrengend sind. Für mich war das okay.“
In manchen Phasen reichte das Geld zum Leben nicht. Sie beantragte Wohngeld. Dass sie die Unterstützung, die der Sozialstaat bietet, angenommen hat, klingt bei ihr nicht wie etwas, für das man sich schämen sollte. Denn: „Die Gesellschaft braucht Künstler*innen total dringend.“
Daran glaubt Anke Stelling. Auch, als sie ihren Vertrag bei einem Verlag verliert, weil sie die Erwartungen, die in ihre Buchverkäufe gesetzt werden, nicht erfüllen kann. Auch als sich ihre Agentur von ihr trennt. Als sie sich mit dem Schreiben von Drehbüchern finanziert und der Erfolg in der Belletristik fern scheint.
„Hast du da nie gezweifelt?“, will eine Kommilitonin wissen. „Doch“, sagt Anke Stelling. Als sie mit 43 diese „Ablehnungsorgie“ erlebt, überlegt sie kurz, umzuschulen oder etwas anderes zu machen. „Aber mir fiel auch nichts anderes ein, was ich sonst wirklich hätte machen wollen. Und dann kam schon eine bessere Phase.“
Dass Anke Stelling ihr Schreiben dann doch zum Erfolg und zur Grundlage ihrer Existenzsicherung macht, ist sicher auch ihrem inneren Trotz zuzuschreiben, den sie lachend immer wieder erwähnt. „Die Ablehnung hat mich eher angespornt. Da kam dann ein innerer Trotz hoch, dem etablierten Literaturbetrieb gegenüber, im Sinne von „Ich zeig’s euch!“ Ich hatte immer Selbstbewusstsein, was meine Arbeit, mein Werk betrifft.“
Dieses Selbstbewusstsein braucht sie auch. Der Literaturbetrieb hält ihre Themen anfangs für nur bedingt „literaturfähig“. Über Texte, die sich aus dem häuslichen oder familiären Kontext speisen, heißt es: „Das will doch keiner lesen.“ Anke Stelling nimmt es nicht persönlich:
„Als die Kritik kam, meine Texte wären „Jammerliteratur für Privilegierte“ – das habe ich nicht ernst genommen. Da hatte ich das Selbstbewusstsein und habe auch gedacht: eigentlich ist das doch misogyn und mütterfeindlich. Dieses „das ist nicht literaturfähig“ – wer sagt das eigentlich?“
Sie arbeitet den Text um, das Thema bleibt das Gleiche. Und findet schließlich den Weg zum Verlag, zur Agentur und zu vielen begeisterten Leser*innen.
Mit dem Erfolg kommen neue Herausforderungen: Jetzt ist auch sie Teil dieses Literaturbetriebs. Muss mit Erwartungshaltungen umgehen lernen, sich auf der Welle des Erfolgs halten und behaupten. Und trotzdem bleibt sie ihren Prinzipien treu:
„Konzernverlage sind böse. Vorschüsse für ein Debüt im Bereich von mehreren hunderttausend Euro sind einfach böse. Ich glaube, dass zu wenig aber auch zu viel Geld einen kaputt machen kann.“
Natürlich, räumt sie ein, sei es im Nachhinein immer leicht, so zu sprechen. Wenn die Geschichte einen guten Ausgang nimmt. Wenn der Erfolg dann irgendwann kommt. Für viele schreibende Weggefährt*innen gilt das nicht: „Es gibt Leute, die an Film- und Schreibschulen waren und die jetzt Hartz 4 beziehen und die tolle Sachen machen – die sieht nur niemand. Außer man ist mit ihnen befreundet.“
Sie hat sich durch magere Jahre gekämpft, sich von Ablehnung und Kritik nicht abbringen lassen – und dann ist da doch noch diese unsichtbare Hürde, über die sie stolpert, als sie Mutter wird:
„Familiengründung ist im Grunde das Karriere-Aus.“
Das sagt Anke Stelling klar und deutlich und fügt hinzu, dass sie es kaum aussprechen mag. Weil sie sich so sehr gewünscht hat, dass es anders sei. Und doch: Die, die Kinder austragen, spürten den Karriereknick deutlich. Und so setzt sich eine Ungerechtigkeit fort, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eben nur für einen Teil der schreibenden Zunft möglich macht: „Die männlichen Autoren haben ihre Kinder 20 Jahre später bekommen. Mit 40 oder 50.“
Und worin genau besteht dieser Karriereknick? Ist es als Mutter schwieriger, das eigene Buch im Betrieb zu platzieren? Anke Stelling bejaht diese Frage. Entgegen unseren Erwartungen ist es nicht der Zeitmangel, der ihr das Schreiben als Mutter erschwert – es sind der Literaturbetrieb und seine Vermarktungsmechanismen: Mütter können wichtigen Netzwerkveranstaltungen nicht beiwohnen. Sie kommen für Stipendien-Aufenthalte nicht mehr in Frage. Und – sie sind nicht mehr „fuckable“ genug. Als hübsche und/oder junge Autorin sei man besser vermarktbar, berichtet Anke Stelling. Selbst wenn man an eindeutigen Angeboten kein Interesse habe – alleine die theoretische Möglichkeit, als Bettgefährtin zur Verfügung zu stehen, steigere den Marktwert.
Man kann sich von all dem einschüchtern lassen. Aber wenn man Anke Stelling zuhört, dann möchte man das gar nicht. Dann möchte man vor allem das tun, was sie uns im Kampf gegen dieses überholte System empfiehlt: sichtbar sein und darüber reden. Transparenz als steter Tropfen, das aushöhlt, was schon lange überholt ist. Transparenz durch Worte, gesprochen wie geschrieben. Und so ist ihr Fazit zum Thema Schreiben als Beruf am Ende auch ein Positives:
„Ich finde es ist eine tolle Sache. Und ein guter Beruf. Ich bin froh, dieses Studium gemacht zu haben und auch für meinen Weg, die Erfahrungen und die Freundschaften, die dabei entstanden sind.“
Die Gesichter meiner Kommilition*innen in den kleinen, viereckigen Kacheln der Galerie-Ansicht leuchten. Mein Handy vibriert neben dem Laptop. Nachricht einer Freundin, die ebenfalls im Seminar sitzt. Die ist toll, oder? Ich nicke.
Am Ende der gemeinsamen Zeit fragen unsere Moderator*innen nach einem letzten Rat, den Anke Stelling uns mit auf den Weg geben möchte. Sie überlegt kurz. Das tut sie nach fast jeder Frage und ich mag das. Dieses Konzentrierte. Dieses Sich-nicht-hetzen-lassen. „Ich glaube, am Ende kommt es wirklich darauf an – in der Schreibschule, im Literaturbetrieb – anständig zu bleiben. Und auch, wenn es pathetisch klingen mag: Nicht aufgeben. Und sich trösten lassen und Hilfe annehmen.“ Mit diesen Worten entlässt uns Anke Stelling zurück an unsere Schreibtische, an unsere Tastaturen, unsere Notizbücher.
Anständig bleiben in einem unanständigen Literaturbetrieb. Wie wichtig es ist, dass junge Menschen mit Persönlichkeiten wie Anke Stelling in Kontakt kommen. Mit Menschen, die ungeschönt sagen, was schief läuft. Die Teil eines Systems sind und es dennoch verändern wollen. Die sich nicht der Verwertbarkeitslogik des Marktes unterjochen, die selbstbestimmt bleiben und sich nicht von Ruhm, Geld oder Eitelkeit korrumpieren lassen. Auch, wenn das, im Angesicht der Allmacht des Patriarchats, seinen Spuren in unseren Lebensläufen und wirtschaftlichen Strukturen, manchmal unmöglich scheint.
Sich der Unmöglichkeit entgegenzuwerfen, den alten Strukturen, trotzig und immer wieder, und vielleicht doch hier und dort auf eine morsche Stelle zu treffen, die nachgibt – was wenn nicht das, ist die Aufgabe von Kunst?
Du hast diesen Artikel gelesen und willst immer noch schrieben? Großartig! Das ist Unerschrockenheit, die die Kunst braucht. Dann hol dir hier mein Motivationsvideo und eine kostenlose kreative Schreibaufgabe und schreib noch heute deinen ersten Text!
[…] Sie schreibt in ihren Romanen über Mutterschaft und Familie. Auf ihre Texte über den sogenannten häuslichen oder familiären Kontext bekam sie jedoch früher oft die Rückmeldung, diese seien […]
Es ist Zeit für dein kreatives Erwachen. Entdecke, wie lebendig es dich macht, etwas Kreatives zu schreiben und deine Texte mit anderen zu teilen. Als deine Mentorin begleite ich dich gerne auf deiner Schreibreise.
3 Comments
„Und auch, wenn es pathetisch klingen mag: Nicht aufgeben. Und sich trösten lassen und Hilfe annehmen.“
– Weiß nicht warum, aber es traf einen Nerv, so ganz tief drinnen. Danke für diesen Blogartikel! <3
Wunderguter Artikel, über wundergute Anke Stelling!