Es ist Zeit für dein kreatives Erwachen. Entdecke, wie lebendig es dich macht, etwas Kreatives zu schreiben und deine Texte mit anderen zu teilen. Als deine Mentorin begleite ich dich gerne auf deiner Schreibreise.
Noch fünfzehn Minuten bis Vorstellungsbeginn. Mehrere Schulklassen bevölkern Treppen, Bänke und Waschräume des Theaters. Stimmen und Gelächter erfüllen das Haus wie einen summenden Bienenkorb. Ein Mitarbeiter des Theaters verkauft Schokolade und saure Schnüre in Plastiktüten für kleines Geld an kleine, klebrige Hände.
Es ist das zweite Mal, das ich das Kinder- und Jugendtheater an der Parkaue besuche, um ein Ohr an den Puls der Jugend zu legen. Eigentlich gibt es Grund zur Hoffnung. Kapitalismuskritik, Umgang mit Rassismus und Konsumrausch in der Inszenierung von „In 80 Tagen um die Welt“. Feminismus, Rollenbilder und Mobbing in „Mädchen wie die“ – die Stücke haben wichtige Botschaften im Gepäck, reines Entertainment ist hier nicht. Im Programmheft wird Chimamanda Ngozi Adichie zitiert, die Autorin des Essays „We should all be feminists.“ All das weist in Richtung Zukunft. Und trotzdem – nichts und niemand ist schwerer zu beeindrucken, als junge Menschen, die unter dem Eindruck einschießender Hormone gerade gelernt haben, die Welt in „cool“ oder „uncool“ zu unterteilen. Nie wieder in ihrem Leben werden sie so schnelle und so vernichtende Urteile fällen, von deren Richtigkeit sie besonders dann überzeugt sind, wenn ihre FreundInnen sie bestätigen.
Bekanntschaft machen mit dieser Wucht rudelgebundener Energie sollen wir heute in „Mädchen wie die“, einem Theaterstück über das Nacktfoto einer Schülerin, das aus Freundinnen Feindinnen macht und eine tragische Mobbingspirale lostritt. Ich aber begegne gruppendynamischen Prozessen schon im Foyer, als ich aus meinem Rucksack eine Packung Reiswaffeln ziehe. Während ich kaue und auf den Beginn der Vorstellung warte, hat eine Gruppe Jungs neben mir Stellung bezogen. Sie gehen mir bis zum Kinn, tragen alle die gleichen Sneaker und wer etwas sagen will, muss schreien, um sich gegen die anderen durchzusetzen. Erstens, weil sie alle den Mund voller Chips haben, zweitens, weil der Übermut, der SchülerInnen bei Ausflügen außerhalb des Schulgebäudes überfällt, den Geräuschpegel stetig anschwellen lässt. Von den engen Grenzen des Klassenzimmers befreit, bricht sich die überschüssige Energie Bahn. Wer hat den lockersten Spruch auf den Lippen, wer bringt die Gruppe am häufigsten zum Lachen? „Hier stinkt es!“, brüllt schließlich einer von ihnen und es entsteht ein kurzer Moment der Stille zwischen ihnen. „Nach Reiswaffeln!“ Sechs Augenpaare richten sich auf mich. Meine mahlende Kieferbewegung verlangsamt sich. Dann brechen sie in wieherndes Gelächter aus. Hohn und Spott ergießen sich über ein paar harmlose, gesalzene Reiscracker. Grundlos, harmlos, aber so sinnbildlich für das, was wir nachher auf der Bühne sehen sollen. „Los, wir gehen an die frische Luft!“. Sich gegenseitig in die Rippen boxend trollt sich die Gruppe von dannen und ich bleibe zurück, mit dem schalen Geschmack von Scham und Meersalz auf der Zunge.
Ich bin 33 und werde von Zwölfjährigen beschämt. Natürlich nicht tief und nachdrücklich, aber der kleine Vorfall bringt Erinnerungen hoch an meine eigene Schulzeit. An die Angst, an die Tafel gerufen zu werden und irgendetwas falsch zu machen, was zur Belustigung der „coolen“ Jungs und Mädchen beitragen könnte. Denn es braucht gar nicht viel, ganz sicher kein Nacktfoto, um den Spott einer Gruppe auf sich zu ziehen.
Schließlich ist die Jugend die Zeit, in der sich die eigene Persönlichkeit vor allem durch kollektive Ablehnung von Andersartigem zu definieren versucht.
Ich war in meiner Schulzeit keinen besonderen Gängeleien ausgesetzt, wurde aber Zeugin von Mobbing. Die Betroffenen zu schützen, war für SchülerInnen und LehrerInnen schwer. Gruppendynamik kann toxisch sein. Die Einteilung der Welt in schwarz und weiß, cool und uncoool, wie ein soziologisches Schachbrettmuster, lässt keinen Platz für Andersartigkeit. Und tief sitzen in diesen Wertvorstellungen oft auch die tradierten Rollenbilder.
Mit denen will die Inszenierung des Stückes „Mädchen wie die“ von Evan Placey im Theater an der Parkaue aufräumen. Ungleichheiten sichtbar machen, Werte und Vorurteile hinterfragen. Das Stück beginnt mit Gesang. „Schlampe, Nutte, Wichsvorlage“ tönt es aus den Mündern der SchauspielerInnen, ein lieblicher, mehrstimmiger Kanon, im harten Kontrast zur deftigen Sprache.
Auf der Bühne wird die Geschichte von Scarlett erzählt, die im Mädcheninternat St. Helens durch ein Nacktfoto, das im Klassenchat auftaucht, den Zorn ihrer Freundinnen auf sich zieht. Es beginnt ein Spießrutenlauf, der Fragen aufwirft: Wo bleibt die Solidarität ihrer ehemaligen Freundinnen? Warum ist Scarletts Foto ein Aufreger, das Pendant ihres Freundes aber nicht? Und welche Gruppendynamiken sind es, die „Mädchen wie die“ von einem Tag auf den anderen zur Außenseiterin machen?
Zwischen die erste Erzähl-Ebene mischen sich Exkurse in die Geschichte der Frauenbewegung. Von einer Zeit, in der es für Frauen als „unschicklich“ galt, in der Öffentlichkeit zu rauchen oder zu trinken, über den Versuch der 68-er, alte Rollenzuweisungen zu überwinden bis hin zu Erfahrungen mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz – die Rückblenden zeigen, wieviele Bereiche des Lebens von patriarchalen Machtstrukturen durchsetzt sind. Und die Jugendlichen? Wie reagieren sie auf die Inszenierung?
„So eine Scheiße!“, stöhnen Mädchen wie Jungs in der Reihe vor mir. Legen ihren Kopf in den Nacken, halten sich die Augen zu oder gucken verstohlen hinter vorgehaltenen Jacken auf ihr Smartphone. Sie finden das alles zum Kotzen und machen daraus keinen Hehl. Von dieser Klasse bleibt niemand zum anschließenden Publikumsgespräch. Die meisten Aussagen von den Jungen und Mädchen, die für einen Austausch mit der Dramaturgin und den Schauspielerinnen noch im Saal sitzenbleiben, sind zurückhaltend und durch die Anwesenheit von Erwachsenen zensiert. Was aber immer wieder in der Diskussion auffällt – ein kleines Wort, so unscheinbar eigentlich und doch steckt eine ganze Menge Bedeutung in ihm und macht es tonnenschwer: „sowas“. Es gibt einen kleinen Einblick in das Wertesystem der Jugendlichen: „Ich würde sie fragen, warum sie sowas gemacht hat.“. „Wenn sie sowas macht, hat sie bestimmt was mit dem.“
„Sowas“, das Unaussprechliche, das Fremde und Schockierende – das ist Nacktheit. Die ganz selbstverständlich mit Sexuellem und damit, vor allem bei Mädchen, auch Skandalösem assoziiert wird.
„Sowas“ macht man doch nicht. In Zeiten, in denen die Kamera am Handy dazu einlädt, uns selbst, mehr oder weniger bekleidet in allen möglichn Posen abzulichten, aber wohl doch. Einige Mädchen berichten von einem Nacktfoto einer Siebtklässlerin, das an ihrer Schule die Runde macht. Sie selbst hätten das Angebot abgelehnt, es weitergeleitet zu bekommen. Aber wieviele Jungen und Mädchen sind so stark? Gruppendruck ist eine nicht zu unterschätzende Größe. Wenn man sich nicht mehr unter Jugendlichen bewegt, vergisst man schnell, wieviel Macht diejenigen haben, die den Ton angeben. Und wie stark alles, das mit Sex zu tun hat, noch einen gesellschaftlich-moralischen Stempel von „Verdorbenheit“ trägt. Aller uns umgebenden Pornographie und der übersexualisierten Medien- und Werbewelt zum Trotz.
Was das Stück auch thematisiert, sind Schönheitsideale und Konkurrenzdenken. Wer interessiert sich für wen, wer bekommt wen ab, wie kann man beeindrucken? Schmerzhafte Nebenwirkungen einer misogynen Kultur: Mädchen und Frauen „brauchen“ einen tollen Jungen oder Mann an ihrer Seite, um Anerkennung zu bekommen. Nicht umsonst titeln auch heute noch sämtliche Teenie-Magazine mit Tips und Tricks, die dabei helfen sollen, „endlich einen Freund zu finden“.
Wer den „coolen“ Typen kriegt, ist cool. Sein Status färbt quasi ab, wirkt wie ein Qualitäts-Siegel.
Entwachsen tun wir dieser Logik nicht – George Clooney war immer ein heißbegehrter Junggeselle, Jennifer Aniston ist mit 50 wieder single und alle Klatschspalten der Welt schlagen Alarm. Wo Medien, die für Mädchen und Frauen produziert werden und von Mädchen und Frauen konsumiert werden, immer wieder und mehr oder weniger subtil die Botschaft transportieren, dass das Ziel jeder Frau die Steigerung ihres „Marktwerts“ ist, wird der Weg geebnet für ein tief verinnerlichtes Konkurrenzdenken. Dazu kommt, dass Mädchen und Frauen Sexualität nur unter dem Deckmantel der Liebe haben sollen, das Ziel ist immer Heirat und Familie, der einzige, in dem Sexualität gesellschaftlich als wirklich akzeptiert gilt. Selbstverständlich gibt es hier Ausnahmen – doch mehrheitlich ist es eine sehr konservative und lustfeindliche Perspektive auf die weibliche Sexualität, die in den Medien immer wieder eingenommen wird. Wenn die Jungen und Mädchen das Theater verlassen, öffnen sie Instagram und sehen sich einer Flut von vermeintlich perfekten Körpern, Gesichtern und Leben gegenüber, gegen die ein Theaterstück wie „Mädchen wie die“ nur ein kleiner, rebellischer Schluckauf sein kann.
Ich gehe mit gemischten Gefühlen nach Hause. Es ist gut, dass ein Jugendtheater all diese Themen aufgreift. Es macht Hoffnung, dass viele Mädchen aus dem Publikum die mangelnde Solidarität der Protagonistinnen untereinander bemängelt haben und sich damit nicht identifizieren. Trotzdem ist es noch ein weiter Weg. Zu sehr sind wir alle noch gefangen in den Rückständen jahrhundertelang eingeübter Geschlechterrollen, die uns oft nicht einmal bewusst sind. Zu oft gelingt es uns als Gesellschaft nicht, jungen Menschen ein Selbstwertgefühl zu vermitteln, das auf einer Basis steht, die nicht über die Abwertung von anderen funktioniert.
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