Es ist Zeit für dein kreatives Erwachen. Entdecke, wie lebendig es dich macht, etwas Kreatives zu schreiben und deine Texte mit anderen zu teilen. Als deine Mentorin begleite ich dich gerne auf deiner Schreibreise.
Valerie Solanas hätte es vermutlich kaum gefallen, dass am Ende des Theaterabends im Deutschen Theater Berlin für die Inszenierung „Feminista, Baby!“ in der Hauptsache Männer auf der Bühne den warmen Regen des Applauses empfangen durften. In den Regiestühlen hatten Tom Kühnel und Jürgen Kuttner Platz genommen, bis auf Christiane Rösinger und ihre Gesangseinlagen waren auf der Bühne selbst nur männliche Stimmen zu hören – wenn auch verpackt in Stöckelschuhen und Cocktailkleid.
Grundlage des Stücks ist eine wütende Schmähschrift, das radikale „SCUM Manifesto“ von Valerie Solanas aus den 60-er Jahren. Die US-amerikanische Schriftstellerin, die durch ihren Mordversuch an Andy Warhol Berühmtheit erlangte, lässt auf rund 50 Seiten nur wenig Hoffnung für die „biologische Katastrophe Mann“. Zu leicht wäre es vermutlich gewesen, diesen Text vorwiegend als Satire zu begreifen, wäre er von Frauen gesprochen worden – auch wenn das, wie ich im Laufe des Abends bemerkte, leider trotzdem passiert.
Das „SCUM Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer“, schwankend zwischen Brillanz und Wahnsinn, war erst kürzlich Gegenstand eines feministischen Bücherclubs, den ich seit kurzem besuche. Samtpfötig kommt er nicht gerade daher. Nicht mehr oder weniger als die Weltherrschaft durch SCUM fordert das Manifest, das mit den Worten beginnt:
„Das Leben in dieser Gesellschaft ist ein einziger Stumpfsinn, kein Aspekt der Gesellschaft vermag die Frau zu interessieren, daher bleibt den aufgeklärten, verantwortungsbewußten und sensationsgierigen Frauen nichts anderes übrig, als die Regierung zu stürzen, das Geldsystem abzuschaffen, die umfassende Automation einzuführen und das männliche Geschlecht zu vernichten.“ *Valerie Solanas
Bissig in der Wortwahl, vor Kraftausdrücken strotzend und selbstverständlich auch an vielen Stellen satirisch überspitzt, stellt der Text Geschlechterrollen in Frage. Mit Sicherheit die der 60-er Jahre und bedauerlicher Weise in immer noch erstaunlich vielen Punkten die heutigen. Solanas dreht kurzerhand den Spieß um. Männer, so der Text, seien schwach und nicht in der Lage, sich intellektuell oder emotional zu entfalten. Einzige Betätigungsfelder blieben somit der wettbewerbsorientierte kapitalistische Geldmarkt und – Sex. Dem Freudschen Penis-Neid stellt Solanas einen Vagina-Neid der Männer entgegen und kehrt so den Blick auf die Geschlechter einfach um. Aber auch die Frauen bekommen ihr Fett weg – überall dort, wo sie sich nett und angepasst in einem System bewegen, in dem sie nichts zu sagen haben. Die Lösung? SCUM, das ist Solanas Ausdruck für rebellische Frauen, die das „Ficken aufs Ficken reduzieren, die zu kindisch sind für diese Erwachsenenwelt voller Vorstädte, Hypotheken, Scheuerbesen und Babyscheiße, die zu selbstsüchtig sind, um Kinder und Ehemänner großzuziehen, zu unzivilisiert, um sich einen Dreck darum zu scheren, was andere über sie denken, zu arrogant, um Daddy, die Großen der Welt oder die „tiefe Weisheit“ der Alten zu respektieren.“
Genügend Zündstoff also für eine spannende Inszenierung. Für einen Einblick in die Atmosphäre des Abends habe ich an dieser Stelle den Trailer verlinkt:
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Als „Wohlfühltheaterabend“ bezeichnet der Tagesspiegel die Inszenierung – und das schmerzt die feministische Seele dann doch. Denn sich wohlzufühlen, das heißt auch, sich bequem im Samtsessel zurücklehnen und entertaint zu werden. Dabei ist Unterhaltung eindeutig vorhanden, sei es in Form der drei Hauptdarsteller, die sich vor den Blicken des Publikums zu Beginn der Vorstellung mit blonden Perücken, Lippenstift und weißem Kleid in Marilyn Monroe-Verschnitte verwandeln, sei es die mit Manifest-Zitaten unterlegte, politische Elefantenrunde mit Angela Merkel, Joschka Fischer und Gerhard Schröder, seien es die mitreißenden Gesangseinlagen von Christiane Rösinger auf der glitzernden Doppel-Helix, dem Mittelpunkt des Bühnenbilds.
„Feminismus ist nicht Fun, er ist komplex, und er kotzt die Leute an.“, singt Rösinger, Kultfigur des Kreuzberger Feminismus und erklärte Verächterin eines Pärchen-Kosmos rund um Postkartenromantik, Vorstadt-Idylle und Rügen-Urlaub. Ihre trotzig-schnoddrigen Lieder sind eine absolut gelungene Begleitmusik des Manifests, das in weiten Teilen unkommentiert auf der Bühne seine Kraft entfalten könnte – wenn, ja wenn das alles nicht auch ein wenig daherkäme wie ein großer Witz. Denn ankotzen, das tut die Inszenierung hier merklich niemanden und dabei müsste sie vielleicht GERADE das. Wenn Regisseur Jürgen Kuttner als abwechselnd wehleidiger oder zynischer Vertreter der Gattung „Daddy“-Mann die Bühne betritt, verkommt das Ganze stellenweise leider zu Klamauk mit Revue-Charakter.
Stark dafür aber der Eingangsmonolog von Bernd Moss, den er dem Publikum vor noch zugezogenem Vorhang mit solcher Inbrunst entgegenschmettert , dass das Lachen einigen BesucherInnen im Hals stecken bleibt. Mehr braucht es eigentlich auch nicht, um die Wucht eines Textes wirken zu lassen, dessen Schärfe nicht einfach mit ein bißchen flankierendem Amüsement weggewischt werden sollte.
Ja, der Text ist radikal und selbstverständlich wird sich kein gesunder Menschenverstand dem darin enthaltenen Aufruf zu Gewalt und Mord anschließen. Wie schonungslos Solanas aber die patriarchale Gesellschaft analysiert, das hat es in sich. Ihre Analyse der Kunst- und Kulturszene ist so schmerzlich wahr, dass es uns eigentlich kollektiv beschämt und rotwangig in unsere Sitze hätte drücken müssen. Die Mehrzahl der Menschen beuge sich den von ihnen akzeptieren Obrigkeiten in Form von Professoren, Kritikern, Autoren und ließen sich gerne „weismachen, dass Obskurantismus, Leere, Unverständlichkeit, Indirektheit, Unklarheit und Langeweile Kennzeichen von Tiefe und Brillanz seien.“ Es hat seinen ganz eigenen Charme, diese Sätze in einem Theater zu hören.
Solanas lässt kein gutes Haar an den Männern, aber ersetzen wir das Wort Mann durch den Begriff „toxische Männlichkeit“, werden viele Passagen bestürzend greifbar. Diese Lesart habe ich in der Inszenierung vermisst. Dabei ist es doch gerade dieser schmale Grad zwischen Spaß und Ernst, zwischen Übertreibung und erschreckender Wahrheit, die das Manifest zu einem der aufrüttelndsten Texte macht, die im feministischen Kanon zu lesen sind. Dieser wahre Kern kommt mir im Deutschen Theater zu kurz.
Als zu „harmlos“ bezeichnet auch die Morgenpost die Inszenierung – und trotzdem bin ich sicher, dass der eine oder andere Satz noch in den Ohren der BesucherInnen nachhallen und vielleicht nach und nach seine Wirkung entfalten wird. Die Süddeutsche Zeitung attestiert dem Stück Entertainment-Potential: „Provokant ist es immer noch. Und natürlich ein bisschen männerfeindlich. Aber gut. In Berlin wird daraus: Party, Party, Party!“
Wäre die Sache nicht so ernst, könnte man darüber schmunzeln. Und über so manche Zeile des Originaltextes kann man das auch – darf aber eben nicht vergessen, dass unsere ganz reale Gegenwart von den Gesellschaftsanalysen Solanas‘ mühelos und zielsicher getroffen wird. Das ist eben gerade KEIN Grund zum Feiern. Denn natürlich möchte niemand ernsthaft „den Mann“ zu Grabe tragen, aber durchaus das gesellschaftlich gewachsene Konstrukt von „Männlichkeit“.
„Erfrischenden Urlaub vom Patriarchat“, so beschrieb eine Teilnehmerin des feministischen Buchclubs Solanas Text. Wenn der Tagesspiegel nun konstatiert, die Inszenierung von „Feminista, Baby!“ im Deutschen Theater Berlin sei „ironisch und nicht blöd, aber eben auch keinesfalls weltbewegend.“ – dann bedaure ich das. Denn was wir brauchen, IST nicht mehr oder weniger als eine Weltbewegung. Von Männern und Frauen.
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